Im Anfang war das Wort,

und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
Im Anfang war es bei Gott.
Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.
In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfaßt. ...
Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.  Johannes legte Zeugnis für ihn ab und rief: Dieser war es, über den ich gesagt habe: Er, der nach mir kommt, ist vor mir gewesen.

Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.

Ist das ein „passender“ Anfang des Jahres? In unserer Zeit? Oder überhaupt zu irgendeiner Zeit? Zeigt sich das Leben als Geschenk aus der Fülle Gottes? Als Gnade über Gnade? Fragt man sich nicht so manches Mal, wenn man die Katastrophen unserer Tage wahrnimmt, wenn man immer wieder davon hört, zu welch erschreckender Grausamkeit Menschen gegenüber anderen Menschen fähig sind, wenn vielleicht das eigenen Leben durch Krankheit, Arbeitslosigkeit, eine zerbrochenen Beziehung zerstört scheint, eher: wo ist Gott? Gilt eine solche Aussage: Aus seiner Fülle haben wir empfangen, Gnade über Gnade, nur für die Reichen, die Satten, die Glücklichen- eben die „Anderen“. Erfahren wir nicht häufiger Frustration und Scherben statt Fülle?

Dagegen hält der feierliche Anfang des Johannesevangeliums, mit dem wir jedes Jahr beginnen und das wir auch am 2. Weihnachtssonntag lesen.  So schwer verständlich er auf den ersten Blick in seiner dichten dichterischen Sprache erscheint, gerade dieser sogenannte Prolog des Johannesevangeliums will eine allgemeingültige Aussage über den Menschen, über alle Menschen, also auch über jeden einzelnen von uns treffen. Jeder von uns ist Empfänger der Fülle Gottes, nicht zuerst Sucher, Fragender, sondern zuerst, seinem Wesen nach Empfänger des Lichtes, des Lebens, der Fülle, die Gott selbst ist. Jeder Mensch! Und zwar beschenkt Gott uns mit seiner Fülle, wie wir ja an Weihnachten feiern, dadurch, dass er uns anspricht, dass er uns sein Wort schenkt. Schon auf der Ebene der menschlichen Beziehung wissen wir um die Gnade, die darin liegen kann, wenn zur rechten Zeit das rechte Wort geschenkt wird. Bei Gott ist es tiefgreifender, wenn Gott zum Menschen, zur Welt, zu seiner Schöpfung spricht, dann spricht er sich selbst aus, teilt er von seinem inneren Wesen mit. Und er spricht viel  tiefer und grundsätzlicher, als menschliches Wort es vermag.

Alles ist durch das Wort, das Gott selbst ist, geworden. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Licht, das empfindet man als Orientierungshilfe da, wo es dunkel ist. Der Mensch hat Augen, mit denen er Licht sehen kann, wenn es da ist, oder besser, mit denen er sehen kann, wenn Licht da ist. Aber der Mensch kann nicht in sich selbst das Licht erzeugen, das er zum Sehen braucht. Der Evangelist Johannes sagt uns, dass das Leben, das Gott schenkt, Licht für unsere Augen - für die des Leibes wie die des Geistes - ist. Wo wir zulassen, dass Gott uns anspricht, da  wird deutlich, wo es dunkel in unserm Leben ist, da wird dieses Dunkle aber auch in Sein Licht getaucht. Und es stellt sich die Frage: Wollen wir das Leben, das Gott schenkt? Ist uns das Licht, das er in unser Leben bringt, nicht zu hell? Tut es unsern Augen nicht auch weh? Es besteht immer die Möglichkeit, sich diesem Geschenk Gottes zu verschließen, um in den überschaubaren Grenzen des eigenen Lebens zu verbleiben.

Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Dort aber, wo sich der Mensch mit allen Sinnen und allen Kräften dem Wort öffnet, mit dem Gott ihn ansprechen will, da übersteigt der Mensch seine Grenzen. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu sein, das bedeutet, aus Gott selbst zu leben und nicht mehr aus natürlicher Kraft.

Ich möchte Ihnen und uns allen wünschen, dass die Freude über dieses Geschenk Gottes Kraft schenkt, die Begrenzungen unseres alltäglichen menschlichen Lebens zu überwinden, damit wir  Zeugnis von seinem Licht und Leben geben können.


Sr. Placida Bielefeld, Abtei Mariendonk