Vom Schweigen

Schweigen ist ein großer Wert, denn im Schweigen kommt der Lärm der Außenwelt zur Ruhe und dadurch besteht die Möglichkeit, ins eigene Innere zu schauen, auf sich selbst, andere und Gott zu hören.

Stimmt das? Ist unsere Erfahrung nicht oft eine ganz andere? Wenn wir aufhören zu reden, wenn es um uns herum still wird und kein Lärm uns ablenkt – werden wir dann still? Oft scheint es doch eher so, als wecke die äußere Stille den Lärm im Inneren. Da kommen die Ereignisse der letzten Tage hoch, die Sorgen oder auch Freuden, die wir sonst vielleicht nicht so wahrnehmen, vielleicht auch nicht sehen wollen. Wir sagen, dass der Lärm uns daran hindert, einzukehren bei uns selbst und frei zu werden für Gott. Aber ist das wirklich immer der Lärm von außen? Suchen wir nicht immer wieder diesen Lärm, um die Stimmen im eigenen Inneren zu betäuben?

Im Kloster gibt es Zeiten des Schweigens und auch für Menschen, die nicht im Kloster leben, ist es wichtig, sich solche Zeiten zu nehmen. Dabei kommt es dann aber nicht nur darauf an, den Mund zu halten, Radio und Handy auszuschalten, vielleicht eine stille Umgebung zu suchen. Es geht darum, innerlich zum Schweigen zu kommen. Dieses Schweigen ist nicht Selbstzweck, sondern soll zu einer größeren Hörfähigkeit, zum Hören führen.

Wenn nun aber erst einmal ganz viel Eigenes zum Vorschein kommt, was mache ich dann damit? Bereits die Mönchsväter kannten dieses Problem: Sobald man sich zurückzieht, kommen die Gedanken hoch. Sofern es Gedanken des Hochmuts, Grolls, der Verletztheit usw. waren, scheuten sie sich nicht, solche Gedanken dem Einfluss von Dämonen zuzuschreiben, oder sie sogar mit ihnen zu identifizieren. Dämonen muss man bekämpfen. Also gilt es, den aufsteigenden Gedanken, die uns nicht weiterführen, zu widerstehen. Z.B., so war die Überzeugung der Väter, kann man Gedanken unschädlich machen, indem man sie sich verbietet. Gedanken, die einen bedrängen, nicht mehr zu denken, ist nicht so einfach und sicher nicht mit einem einmaligen Willenentschluss getan, sondern erfordert Kampf und Disziplin. Vielleicht erscheint es uns heute auch etwas verdächtig. Denn sind die Gedanken, die ich zurückdränge, wirklich erledigt, oder habe ich sie nur verdrängt, und arbeiten sie um so mehr in meinem Inneren? 

So liegt uns vielleicht eine andere Möglichkeit näher. Man schaut sich das, was einen bewegt, genauer an und setzt sich damit auseinander. Manches, was wir genauer in Augenschein nehmen, verliert an Bedeutung und verschwindet wie ein Gespenst im Nebel. Mit anderem muss man sich vielleicht mehr auseinandersetzen, muss ihm unter Umständen energisch widersprechen.

Da kann es sehr helfen, nicht nur zu schweigen, sondern zu einem anderen Menschen zu gehen, und mit ihm zu besprechen, was einen bewegt. Der/die andere kann helfen, die Dinge im rechten Licht zu sehen, und damit auch, den Weg neu zu finden. Ganz viel geschieht schon dadurch, dass uns jemand zuhört, dass da jemand ist, der schweigen kann und hören. Und vielleicht kann er / sie dann auch einen Rat geben. Dann wiederum muss ich fähig sein, das Wort des anderen zu hören und aufzunehmen.

Der / die andere stellt bereits dadurch, dass ich mich ihm stelle, einen Anspruch von außen dar. Ich bin mit meinen Gedanken nicht mehr allein. Und er kann mir auch ein Wort sagen, das diesen Anspruch verdeutlicht, konkret macht.  Unabhängig von solchen Situationen des Rat-Holens und Sich-Aussprechens ist das Wort eines anderen, mehr noch das Wort Gottes ein Anspruch, dem ich mich stellen darf und soll. Wenn ich diesen Anspruch an mich heranlasse, vertreibt er meine grübelnde Besorgnis um mich selbst und macht mich so zu einem schweigenden Menschen. Je mehr ich wirklich schweigen gelernt habe, um so besser werden ich den Anspruch vernehmen. Man kann daher das Hören auf einen anderen und auf anderes (z.B. auf ein gutes Buch) geradezu als einen weiteren Weg bezeichnen, um vom inneren Lärm frei zu werden.

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten“, sagt Paulus in einem etwas anderen Zusammenhang (Röm 12,21). Aber es gilt wohl auch für den Umgang mit sich selbst. Vertreibe die bösen Gedanken durch gute. Kreise nicht immer wieder um das, was dich belastet, sondern tu den Schritt in die Freiheit und lass anderes, lass die immer größere Wahrheit in dich hinein.

Das ist letztlich der Sinn des Schweigens im Kloster und außerhalb des Klosters: Hörfähig zu werden für den Anruf Gottes. In jedem Augenblick unseres Lebens will er uns erreichen, in jedem Augenblick sollen wir ihm zur Verfügung stehen, wie es etwa von Abraham oder Samuel in der Heiligen Schrift berichtet wird und wie viele andere nach ihm es uns vorgelebt haben.

Gott prüfte Abraham und sprach zu ihm: „Abraham, Abraham!“ Er antwortete: „Hier bin ich!“ (Gen 22,1)

Da rief der Herr: „Samuel, Samuel!“ Der antwortete: „Hier bin ich.“ (1 Sam 3,4)

Der Lärm,

der uns hindert,

die Stimme Gottes zu hören,

ist nicht,

wirklich nicht,

das Geschrei der Menschen

oder das Fiebern der Städte

und noch weniger

das Sausen der Winde

oder das Plätschern der Wasser.

 

Der Lärm,

der die göttliche Stimme

erstickt,

ist der innere Aufruhr

gekränkter Eigenliebe,

erwachenden Argwohns,

unermüdlichen Ehrgeizes.

                        Helder Camara

Sr. Mirjam Pesch, Abtei Mariendonk