Die Klosterpforte

Klöster sind seit der Spätantike ein in sich geschlossener Lebensraum der Ordensgemeinschaften. In ihrer architektonischen Anlage wird das Bild vom Paradies gestaltet: Im Garten, dem umfriedeten Bezirk mit einer Pforte, darf der Mensch bei Gott wohnen. Von diesem Ursprung  kommen wir, dorthin kehren wir wieder heim.

Die Kirchenjahresfeste erzählen wieder und wieder von den Toren der Welt für Gottes Ankunft: Das erste Lied unseres Gesangbuches heißt ‚Macht hoch die Tür, die Tor macht weit’. Gott tritt als Kind hinein in die Welt, wandert durch Berge und Wüsten. Jesus besucht die Fischer und Bauern in ihren Hütten. Als er durch die Tore von Jerusalem einzieht, wird er umjubelt als der Gesegnete, der da kommt im Namen des Herrn. Draußen vor den Toren der Stadt leidet er und durchbricht am Ostermorgen die Pforten des Todes.

Architektur verkündet im Sichtbaren die Heilswege Gottes. Klöster wollen ‚Bezirke sein, die der Friede Gottes erfüllt’ (Ricarda Huch). Sie lagen abseits der großen Wege in Tälern und auf einsamen Bergen. Dorthin zogen sich Mönche und Nonnen aus der Geschäftigkeit der Welt zum Gebet zurück. Doch bald klopften Menschen an und baten um Schutz, Nahrung und heilende Kräuter. So öffneten die Klöster ihren umfriedeten Raum, sie boten den Pilgern Rast und gewährten Zuflucht in den Kriegsnöten und Vertreibungen aller Jahrhunderte.

Das Kloster wurde zur Schule des Lebens für Ordensleute und gleichzeitig zum Ort des Lernens für die Kinder der Armen und der Reichen. Geschichtsschreibung und Recht wurden zu einer Zeit tradiert, als die deutschen Kaiser nicht einmal des Schreibens kundig waren. Latein und Griechisch, Philosophie und Rhetorik und wurden gelehrt - der Zugang zu Kultur und Wissen im europäischen Abendland war geöffnet.

Benediktiner richteten in ihren Klöstern Bibliotheken ein,  Mönche schrieben das Evangelium mit viel Liebe und Kunstfertigkeit. Die Klöster wollten autark sein und wuchsen schnell heran  zu effektiven Wirtschaftsunternehmen mit vorbildlicher Sorge für Handwerk, Ackerbau und Güterverwaltung. Im Kloster galten die Ordensregeln der Gründer. Zeit und Raum waren geregelt und einander zugeordnet in einem schöpferischen, sinnvollen Rhythmus. Werkstätten und Hospiz, Kräutergarten und Skriptorium umgaben die Kirche in der Mitte.

Die Öffnung nach innen zum Geheimnis des Glaubens ist die Pforte. Vorhalle und Westportal einer Kirche bilden den Eingang in das Heilige. Die uralte ‚heilige Strasse’ wurde auf einen Vorplatz verkleinert. In karolingischen Klosteranlagen, z.B. auf der Insel Frauenchiemsee und in Lorsch, ist vor der Pforte noch die Torhalle erhalten, sie diente als Empfangsraum für Kaiser und Könige. Diese Eingangshalle war bedeutungsvoll wie in den prachtvollen Palästen des Orients: Im Tor wurde der einziehende Herrscher begrüßt und anerkannt, hier wurde Recht gesprochen und Herrschaft ausgeübt.

In der Pforte gehen weltlicher und göttlicher Machtbereich ineinander über. Beide Welten, außen und innen, werden durch klare Trennung in ihrer Wirkung geschützt. So wird die Klosterpforte der verbindende und trennende Raum und hat wie jede Schwelle abwehrende und aufnehmende, ja einladende Funktion. Wer Eintritt begehrt, darf einen Blick auf die Schönheit und Heiligkeit des Inneren werfen. Auf der Fraueninsel blühen hinter dem Gitter des Pfortenbogens die Rosen. Gleich hinter der Pforte befinden sich Plätze und Räume des klösterlichen Lebens, die Kirche oder der Wirtschaftshof, die Welt der betenden und arbeitenden Ordensleute wird betretbar. In vielen Abteien liegen nahe bei der Pforte Gästebüro und Gesprächsräume. Die Pforte ist nicht nur ein Durchgang, sie ist ein Raum in sich. Wie in einer Schleuse können die ankommenden Gäste hier das Mitgebrachte abstreifen und loslassen. Der Bruder oder die Schwester an der Pforte vermitteln durch ihren Willkommensgruß den ersten Kontakt.

Will ein Kloster sich den Menschen öffnen und sie aufnehmen, braucht es dafür einen Ort: Pforte, vom lat. ‚porta’, heißt Öffnung und Tor, sie ist belebt von einem Menschen, der grüßt und empfängt und weitergeleitet. In benediktinischer Gastfreundschaft wollen wir den Menschen begegnen, so wie sie sind, wir wollen sie begrüßen und anschauen und – so Gott es uns schenkt – in ihnen Christus begegnen.

Wir stellen die Menschen unter Gottes Segen, die ankommen und fragen und sich mit uns dem Geheimnis des Glaubens nähern und wieder weiterziehen. Die wichtigsten Türen, die Türen unserer Wohnungen und unserer Herzen öffnen sich immer von innen.

Priorin  Friederike Immanuela Popp, Communität Casteller Ring