Aus dem Hymnus des Epiphanius (Ps-Epiphanius) v. Salamis zum Karsamstag

Die Bewohner der Unterwelt sahen bei der unvermuteten Ankunft Christi in den unterirdischen Bereichen plötzlich von oben einen die Finsternis überstrahlenden Blitz, der die Sehkraft der feindlichen Mächte der Unterwelt schwächte. Sie hörten das laute Rufen wie einen Donner und die Heerscharen mit großer Macht rufen: „Öffnet die Tore, wer unter euch Anführer ist!” Öffnet nicht nur, sondern hebt sie aus ihren Fundamenten, reißt sie vollständig heraus, damit sie niemals wieder schließen können.

Zugleich mit dem Ruf der Himmelsmächte sind die Tore aufgesprungen, gleichzeitig sind die Fesseln gelöst, die Riegel zerbrochen, die Schranken zerhauen, die Fundamente des Kerkers erschüttert und die feindlichen Mächte in die Flucht geschlagen worden.

 Da vernahm als erster Adam, der Stammvater und Erstgeschaffene aller Menschen, der erste Sterbliche, der allen am inwendigsten ist und mit großer Sorgfalt gefangen gehalten wurde, das Nahen der Schritte des Herrn, der zu den Gefangenen kam. Er erkannte seine Stimme, als er im Kerker umherging.

Da trat der Herr herein mit der Siegeswaffe des Kreuzes. Und als Adam, der Urvater, ihn erblickte, schlug er sich staunend an die Brust und rief den anderen zu: Mein Herr sei mit euch allen! Christus antwortete und sagte zu Adam: Und mit deinem Geiste!

Und er ergriff seine Hand und sprach: „Wach auf, du Schläfer, und erhebe dich von den Toten, und Christus wird dich erleuchten!” (Eph 5,14). Ich bin dein Gott, und um deinetwillen bin ich dein Sohn geworden. Deinetwegen und derer wegen, die von dir abstammen, sage ich nun und gebiete mit Macht denen, die in Fesseln waren:

Richtet euch auf!, und denen in der Finsternis:

Lasst euch erleuchten!, und den Schlafenden:

Steht auf! Dir gebiete ich: Wach auf, du Schläfer; nicht darum nämlich habe ich dich geschaffen, dass du in der Unterwelt gefesselt bleibst.

Steh auf von den Toten, ich bin das Leben der Toten.

Steh auf, du Werk meiner Hände, steh auf, du meine Gestalt, nach meinem Bild und Gleichnis geschaffen.

Steh auf und lass uns von hier wegziehen, denn du bist ja in mir, und wir beide zusammen bilden eine einzige und untrennbare Person.

Um deinetwillen wurde ich, dein Gott, zu deinem Sohn;

um deinetwillen nahm ich, der Herr, Sklavengestalt an;

um deinetwillen stieg ich, der ich über allen Himmeln wohne, herab auf die Erde und unter die Erde;

für dich, den Menschen, wurde ich wie ein hilfloser Mensch, „frei unter den Toten”;

für dich, der du den Garten verließest, wurde ich im Garten den Juden ausgeliefert und im Garten gekreuzigt.

Galle habe ich um deinetwillen genossen, um dich zu heilen von der durch jene süße Speise genossenen bitteren Lust.

Essig habe ich gekostet und den Trank, der der Natur zuwider ist, um die Schärfe deines Todes zu vernichten.

Den Schwamm habe ich genommen, um den Schuldschein deiner Sünde auszulöschen. Das Rohr habe ich genommen, um dem Menschengeschlecht den Freiheitsbrief zu unterschreiben.

Ich entschlief am Kreuze, und die Lanze durchbohrte meine Seite um deinetwillen, der du im Paradies schliefest und Eva aus deiner Seite entließest. Meine Seite heilte den Schmerz deiner Seite, und mein Schlummer führt dich nun aus dem Schlaf der Hölle hinaus. Mein Schwert bannt das gegen dich gezückte Schwert.

So steh denn auf und lass uns von hier wegziehen. Der Feind entführte dich einst aus dem irdischen Paradies; ich aber will dich nicht mehr ins Paradies, sondern auf einen himmlischen Thron setzen. Ich verbot dir einst den Baum des Lebens, der nur ein Gleichnis war, aber sieh, nun bin ich selbst dir vereint als das Leben.

Ich stellte Kerubim auf, um dich, wie es sich für einen Knecht ziemt, zu bewachen; ich mache, dass Kerubim dich, wie es sich für einen Gott ziemt, verehren.

Einst verbargst du dich nackt vor Gott, nun aber hast du den nackten Gott in dir selber geborgen.

Du zogest an das Kleid aus Fellen der Schande; ich aber, dein Gott, zog an das blutige Kleid deines Fleisches.

Darum brecht auf, lasst uns von hier wegziehen, vom Tod zum Leben, von der Verwesung zur Unverweslichkeit, von der Finsternis ins ewige Licht.

Steht auf, lasst uns aufbrechen vom Schmerz zur Freude, von der Knechtschaft zur Freiheit, vom Kerker ins himmlische Jerusalem, aus den Fesseln in die Freiheit, von der Gefangenschaft in die Freude des Paradieses, von der Erde zum Himmel. Denn dazu bin ich gestorben und auferstanden, um zu herrschen über die Lebenden und die Toten.

Lasst uns aufbrechen und von hier wegziehen, denn mein himmlischer Vater wartet auf das verlorene Schaf. Die neunundneunzig Schafe der Engel harren auf ihren Mitknecht Adam: wann er wohl aufsteht, wann er wohl auffährt und heimkehrt zu Gott. Ein Kerubimthron ist bereit, die Träger stehen und warten, das Hochzeitsgemach ist hergerichtet, die Speisen sind zubereitet, die ewigen Zelte und Wohnungen sind gerüstet, die Schätze alles Guten sind aufgetan, das Himmelreich ist vor allen Zeiten für euch bereit. „Was kein Auge je gesehen, kein Ohr gehört und was in keines Menschen Herz emporstieg” (1 Kor 2,9): diese Güter erwarten den Menschen.

 Da der Herr dies und Ähnliches sagte, erhob er sich mit Adam, der mit ihm vereint war. Gleichzeitig erhob sich auch Eva, und viele Leiber, die seit langem gläubig entschlafen waren, standen auf und verkündeten die Auferstehung des Herrn nach drei Tagen. Mit welcher Freude, ihr Gläubigen, wollen wir Christus aufnehmen, ihn schauen und umarmen, mit den Engeln Chöre anführen, mit den himmlischen Geistern ein Fest feiern und Christus Ehre darbringen, der uns aus dem Verderben herausholte und uns das ewige Leben schenkte.

Ihm ist die Ehre und die Herrschaft mit dem Vater, der keinen Anfang hat, und seinem heiligsten, überaus guten und lebenspendenden Geist: jetzt und immer und in die zeitenlose Ewigkeit. Amen.

PG 43,440-464 Übersetzung: Sr. Gregoria Peiker, Abtei Mariendonk